50 Jahre Frauenstimmrecht

Frauenstimmregister für kirchliche Abstimmungen (Muster), 1964 (StadtA Winterthur, II. B 1)

 

Erst die Kirche, dann der Staat

Entgegen der göttlichen Ordnung

Die Frauenarbeit im sozialen und kirchlichen Bereich war längst nicht nur akzeptiert, sondern unabkömmlich. Es erstaunt deshalb nicht, dass die politische und rechtliche Gleichstellung der Frauen im Kirchenwesen zuerst erfolgte, auch wenn das kirchliche Frauenstimmrecht in den Augen der Gegner*innen gegen die gottgewollte Ordnung verstiess. Mit dem kirchlichen Stimm- und Wahlrecht erhielten die Frauen in allen öffentlich-rechtlich anerkannten kirchlichen Organen die gleichen Rechte wie die Männer. Damit wurde schliesslich der Boden geebnet für das kommunale, kantonale und eidgenössische Frauenstimmrecht.

Von Kathrin Moeschlin

Als erste Kirche der Schweiz führte 1891 die Eglise évangélique libre de Genève das Frauenstimmrecht ein. Auf kantonaler Ebene gab es in Zürich 1902 einen Vorstoss zum kirchlichen Frauenstimmrecht. Prägende Figur war die Präsidentin der Union für Frauenbestrebungen Emma Boos-Jegher (1857­–1932), welche seit 1896 wiederholt mit der Forderung nach dem Frauenstimmrecht an die Öffentlichkeit gelangte. Die Zürcher Landeskirche forderte schliesslich in den 1910er-Jahren bei der Zürcher Regierung die Einführung des kirchlichen Frauenstimmrechts. Das Anliegen versandete jedoch während des Ersten Weltkriegs und 1923 lehnten die Stimmbürger im Kanton Zürich ein Gesetz ab, welches das Wahlrecht für Frauen in der Kirchen-, Schul-, und Armenpflege vorsah. In den Kantonen Waadt, Genf, Graubünden und Basel-Stadt nahmen die stimmfähigen Männer noch vor 1920 das kirchliche Frauenstimmrecht an.

Im Kanton Zürich sollte dies jedoch noch ein paar Jahrzehnte dauern. In der kantonalen Volksabstimmung vom 7. Juli 1963 wurde das Frauenstimmrecht auf kirchlicher Ebene schliesslich angenommen, mit Wirkung ab 1. Januar 1964. Im Vorfeld der Abstimmung bereitete insbesondere die technische Umsetzung dieses neuen Bürgerrechts den Politikern der Städte Zürich und Winterthur grosse Sorgen. In einer Vorbereitungssitzung im Stadthaus Zürich trafen sich am 6. Juni 1963 die Leiter der Einwohnerkontrollen Zürich und Winterthur mit Vertretern der Direktion des Innern, um die Angelegenheit der Frauenstimmrechtsregister zu besprechen. Die Diskussion drehte sich um die Frage, ob nun die politischen Gemeinden verpflichtet seien, das Register für die stimmberechtigten Frauen anzulegen, oder ob es in der Verantwortung der Kirchenorganisationen läge. Die Einwohnerkontrollen hätten es gerne den Kirchen überlassen, da sie sich diese „ungeheure Aufgabe“ aus personellen, räumlichen und materiellen Gründen nicht zutrauten. Die Weisung des Direktionssekretärs war jedoch unmissverständlich: „Wenn das Volk zum kirchlichen Frauenstimmrecht ja sagt, muss das Register erstellt werden. Man stelle sich einmal vor, wenn die Verwaltung erklären würde, sie sehe sich ausserstande, diese Aufgabe zu bewältigen. Da hätten wir die öffentliche Meinung gegen uns. […] Für die Verwaltung heisst es: Arrangez-vous! Es geht um eine wichtige Sache. Es geht um die Ausübung politischer Rechte.“ Eine andere Sorge der Einwohnerkontrollen galt der zeitlich knappen Frist. Es wurde deshalb diskutiert, ob die verheirateten Frauen, die mit ihrem Ehemann im gleichen Haushalt wohnten und gleicher Konfession waren, überhaupt mit eigenem Abstimmungsmaterial versorgt werden sollten. Schliesslich wurde jedoch beschlossen: „Wenn man der Frau schon das Stimmrecht gibt, muss man sie auch als voll stimmberechtigt behandeln.“

Die Annahme des kirchlichen Frauenstimmrechts am 7. Juli 1963 stellte zwar keine staatsbürgerliche Gleichberechtigung mit den Männern dar, sie machte jedoch die Frauen evangelisch-reformierter, römisch-katholischer und christkatholischer Konfession wählbar für die Kirchensynode, die Bezirks- und Gemeindekirchenpflege sowie das Pfarramt. Von nun an durften die Frauen an sämtlichen Wahlen und Abstimmungen in kirchlichen Angelegenheiten teilnehmen. Die Staatskanzlei Winterthur meldete ein grosses Interesse der Frauen bei den ersten kirchlichen Abstimmungen am 12. April 1964 und die Stimmbeteiligung der Zürcher Frauen lag gemäss eines NZZ-Artikels vom 15. April 1964 mit 55,3% deutlich höher als die der Männer mit 46%. Die neuen Rechte stiessen aber nicht bei allen Frauen auf Anklang. Mehrere Frauen gelangten mit dem Wunsch an die Stadt, nie mehr eine Stimmkarte zu erhalten. Als Grund gaben sie an, die Politik sei Männersache und das Frauenstimmrecht würde aus ganzen Frauen halbe Männer machen. Eine Gegnerin wiederum meinte: „Wenn alle Mütter das Stimmrecht, das Gott verordnet hat, ausüben, die Knaben zu tüchtigen Männern zu erziehen, dann gäbe es es keine Stimmfaulheit, so dass nun die Frauen stimmen müssen.“ Die Einwohnerkontrolle vermerkte lediglich, die Stimmrechtsausweise müssten weiterhin zugestellt werden.

Die Gegnerinnen kamen nicht zu ihrem Ziel. Nach dem kirchlichen Frauenstimmrecht führte 1970 der Kanton Zürich das Frauenstimmrecht ein. Ein Jahr später wurde es auch auf Bundesebene angenommen.

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Foto: Frauenstimmregister für kirchliche Abstimmungen (Muster), 1964 (StadtA Winterthur, II B 1)
Soundtrack: Skywards by Will van de Crommert

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