50 Jahre Frauenstimmrecht

 Das Wandgemälde „Die Linie“ der Winterthurer Künstlerin Warja Lavater führte die Besucherinnen und Besucher durch das Ausstellungsgelände der Saffa 1958. Foto: Schweizerisches Sozialarchiv.

«Dem Kampfe ausgewichen»

Die SAFFA 1958

30 Jahre sind nach der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa) 1928 mit der berühmten „Stimmrechts-Schnecke“ vergangen – und das Frauenstimmrecht war noch immer nicht in Sicht. So machte man sich 1958 an die Organisation einer weiteren Ausstellung in Zürich, die eine andere politische Strategie verfolgte.

Von Julia Vetter

Als die zweite Saffa im Juli 1958 für zwei Monate in Zürich ihre Tore öffnete, erstreckten sich ihre Pavillons fast den ganzen Mythenquai entlang. Sogar eine kleine Insel bei der Landiwiese wurde extra aufgeschüttet. Die Ausstellung scheute keine Kosten und Mühen, um an die erste Saffa anzuknüpfen. Hatte sie 1928 den Schwerpunkt auf weibliche Erwerbsarbeit gelegt, wollten die Saffa-Frauen 1958 zusätzlich die Aufgaben im öffentlichen Leben und in der Familie aufzeigen. Mittendrin standen die Arbeiten der Winterthurer Künstlerin Warja Lavater. Das von ihr entworfene Logo zierte den Eingang beim Strandbad Mythenquai, und ihre Wandgestaltungsarbeit „Die Linie“, die durch die Ausstellung führte, fasste künstlerisch die Hauptziele der Ausstellung zusammen. Im Mittelpunkt stand einerseits die Partnerschaft und die Idee der sich ergänzenden Art der Geschlechter; andererseits die Ganzheitlichkeit der Frau, sie sollte sich nicht zwischen Arbeit und Familie entscheiden müssen.

Politisch war die Saffa 1958 sehr zurückhaltend – die Ausstellung sollte die Bedeutung der Frauen für die Wirtschaft und Gesellschaft zeigen und für die Anerkennung bei den Männern werben. Wenn den Männern das Ausmass der weiblichen Leistungen bewusstwerde, so hofften die Ausstellerinnen, müssten sie den Frauen das Recht auf politische Mitarbeit früher oder später zugestehen. Die Männer sollten also zu einer politischen Zusammenarbeit ermutigt – und nicht abgeschreckt – werden.

Der Zeitpunkt der Ausstellung war in dieser Hinsicht brisant: Im folgenden Winter sollte die erste eidgenössische Abstimmung über das Frauenstimmrecht stattfinden. Während der Ausstellungsvorbereitungen wurden in mehreren Kantonen Vorlagen über das Frauenstimmrecht abgelehnt. Die Organisatorinnen wollten deshalb auf keinen Fall, dass die Saffa als Werbeveranstaltung für das Frauenstimmrecht wahrgenommen würde – ironischerweise ging ihre Vorgängerausstellung von 1928 mit ihrer „Stimmrechts-Schnecke“ gerade für das Gegenteil in die Geschichte ein.

Da die Saffa 1958 repräsentativ für alle Frauen stehen wollte, waren Frauenvereine mit verschiedenen Zielen beteiligt. Die Organisatorinnen verzichteten auf eine offizielle politische Stellungnahme und gaben sich der Stimmrechtsfrage gegenüber betont neutral. Hinter den Kulissen fing es aber schnell an zu brodeln. Unter anderem in der Halle «Die Frau im Dienste des Volkes» kam es zu Spannungen: Hier stellte neben dem Schweizerischen Verband für Frauenstimmrecht auch der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein aus, der sich gegen das Frauenstimmrecht aussprach. Wie sich die Vereine präsentierten, wurde ihnen freigestellt – jedoch mussten die politischen Frauenvereine Änderungen ihrer Slogans hinnehmen, da sie „zu wenig neutral“ seien. Ihre „Wünsche“ sollten doch bitte „positiver“ formuliert werden, so die zuständige Fachgruppe.

Die Juristin Lotti Ruckstuhl vom Nationalen Frauenstimmrechtsverband war eine der wenigen, die die politische Zurückhaltung der Saffa offen kritisierte. Sie schlug Slogans vor wie «Der Weg zu einem wirksamen Zivilschutz führt über das Frauenstimmrecht», oder: «Man schnödet über Feminismus. Was haben wir jetzt? Masculinismus.» Ihre Vorschläge wurden nicht berücksichtigt. In einem Brief an die Präsidentin der Fachgruppe machte sie ihrem Ärger Luft: «Unsere Schweizerfrauen waren in der Sache des Frauenstimmrechts immer so anständig. Aber wohin hat das bis jetzt geführt? Zu nichts.» Auch der Vorschlag, eine Urne für eine Probeabstimmung in der Halle aufzustellen, wurde vom Kollektiv abgelehnt – das wäre eine zu grosse Provokation gewesen. Eine der wenigen kritischen Objekte war die Darstellung des Themas „Frau und Recht“ von Lotti Ruckstuhl. Eine männliche und eine weibliche Figur postierten sich, je nach Rechtstellung der Frau, entweder auf gleicher oder auf unterschiedlicher Höhe.

Trotz – oder gerade wegen – dieser politischen Zurückhaltung erfreute sich die zweite Saffa enormer Beliebtheit: Fast zwei Millionen Besucher und Besucherinnen zählte die Ausstellung, die Medien berichteten überwiegend begeistert. Kritik musste sie aber auch einstecken. Im Magazin Die Staatsbürgerin fand die Autorin Gertrud Heinzelmann deutliche Worte: „Seien wir uns klar darüber, dass die schöne und sommerliche Saffa im Kampf um die Frauenrechte recht leisetreterisch war. Man legte dar, erzählte, pries — und wich dem Kampfe aus.“  Bei der Abstimmung im Februar 1959 wurde das Frauenstimmrecht mit einer Zwei Drittel-Mehrheit abgelehnt.

22.06.21, jv
Foto: Darstellung „Frau und Recht“ von der Juristin und Frauenrechtlerin Lotti Ruckstuhl in der Saffa 1958.  Schweizerisches Sozialarchiv
Soundtrack: Horizons, Theevs

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