50 Jahre Frauenstimmrecht

1970 fand in Zürich eine Demo für die „wahre Demokratie“ statt. Foto: Schweizerisches Sozialarchiv

50 Jahre Frauenstimmrecht

Ein Grund zum Feiern?

In grossen Buchstaben steht es auf dem Plakat: Keine wahre Demokratie ohne das Frauenstimmrecht. Dafür gingen 1970 hunderte Menschen auf die Strasse. Mit Erfolg: Ein Jahr später durften Schweizer Frauen endlich legal zur Urne. Das 50-jährige Bestehen des Frauenstimmrechts wirft aber auch die Frage auf: Was feiern wir eigentlich?

Von Julia Vetter

„Hend Vertraue mit de Fraue!“ – „Frauerächt, Menscherächt!“ – „Stüüre zahle, aber au ad Wahle!“ Emilie Lieberherrs Forderungen schallten im Frühling des Jahres 1969 wie ein Weckruf über den vollen Bundesplatz in Bern. Knapp zwei Jahre später, am 7. Februar 1971, wurden die Parolen über den Platz hinaus gehört: Das eidgenössische Stimm- und Wahlrecht für Frauen wurde mit 67.7% angenommen. Heute denke ich als junge Frau an dieses historische Ereignis mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits bin ich froh, dass ich dank des langen Einsatzes von Frauen (und Männern) mein eigenes Stimmcouvert für die nächste Abstimmung erhalten habe. Andererseits bleiben doch Fragen offen: Warum hat es so lange gedauert? Und warum stand dieses – in Emilies Worten – Menschenrecht in einer direkten Demokratie überhaupt zur Abstimmung?

Die vermeintliche Wiege der Demokratie

Einer Antwort nähern wir uns, wenn wir überlegen, was „Demokratie“ eigentlich genau bedeutet. Das altgriechische Wort „Demos“ heisst übersetzt „Volk“ und nicht „Mann“. Also müssten die Frauen automatisch in einer Demokratie inkludiert sein – oder nicht? Die Politologin Sybille Hartmeier und die Historikerin Hedwig Richter haben sich genau mit diesem Grundkonflikt befasst: Einerseits solle in einer direkten Demokratie das Erreichte nicht gefährdet werden, andererseits bleibe sie ein offenes Projekt mit ständiger Veränderung. Gehen wir am Beispiel der Schweiz etwas weiter zurück: Seit der Gründung des modernen Bundesstaats 1848 durften nur Männer ab 20 Jahren mitbestimmen. Frauen wurden unter anderem aufgrund ihrer Biologie ausgeschlossen, sie wären nervlich nicht für politische Mitbestimmung geeignet. Ausgeschlossen blieben auch Juden und Arme; erstere wegen eines Niederlassungsgesetzes, das mit dem Stimmrecht zusammenhing, letztere konnten ihre Steuern nicht zahlen und galten so als unfähig zur politischen Mitbestimmung. Über die Wahlgesetze hatten zudem die Kantone freie Hand: So wurde das Stimmrecht manchmal auch „Trunkenbolden“ und Männern ohne „genügenden Religionsunterricht“ verweigert. Effektiv stimmberechtigt waren so nur 23 Prozent der Männer – soviel zur Schweiz als berühmte Wiege der Demokratie. Mit der totalen Revidierung der Verfassung 1874 übernahm der Bund die gesetzliche Kontrolle. Doch die Mühlen mahlten langsam: Für jede Inklusion musste erst die Mehrheit der Stimmenden überzeugt werden. Trotzdem erweiterte sich der Demos langsam, aber stetig; als eine der letzten Gruppen stiessen (nach 123 Jahren) die Frauen hinzu. Ausländer, staatlich Bevormundete und 16 bis 18-Jährige warten bis heute auf den legalen Gang zur Urne.

Ein Grund zum Feiern?

Ist dieses Jubiläum also ein Grund zum Feiern? Eine Feier impliziert, dass etwas abgeschlossen ist. Ja, Frauen können zur Urne, ihre politische Stimme wird gehört. Nur: Das Stimmrecht reicht nicht, um eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Verschiedene Studien in Corona-Zeiten zeigen zum Beispiel, dass durch die Lockdowns vor allem Frauen deutlich mehr belastet wurden und mehr unbezahlte, aber wichtige und systemrelevante Care-Arbeit (Pflege und Betreuung von Kindern und so weiter) leisteten. „Wahre Demokratie“ wie auf dem Plakat von 1970 geht also nicht automatisch mit Gleichstellung einher. Sollen wir das Jubiläum deshalb ignorieren? Nein, aber es kommt darauf an, was oder wen man feiert. Die Historikerin Hedwig Richter warnt davor, dass Demokratiegeschichte noch viel zu oft als Revolutionsgeschichte dargestellt würde: kämpfende Männer von unten, möglichst noch auf Barrikaden, die den Frauen das Stimmrecht einfach geschenkt hätten. Diese Ansicht blende viele Aspekte wie zum Beispiel Frauenbewegungen aus. Deshalb schauen wir vom Frauenstadtrundgang Winterthur hinter die Kulissen des Frauenstimmrechts: Wir haben in den Archiven einen wahren Abstimmungskrimi in Winterthur ausgegraben, Einwände gegen das Frauenstimmrecht gelesen, die Herkunft der „Saffa-Schnecke“ erforscht und bisher Ungesehenes sichtbar gemacht – alles, um dieses Jubiläum der „wahren Demokratie“ gebührend zu feiern. Jeden Monat erscheint an dieser Stelle häppchenweise eine dieser Geschichten. Feiern Sie mit! 20.02.21, jv Foto: Frauenstummrechtsdemonstration 1970, Sozialarchiv Zürich Musik: www.bensound.com

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