50 Jahre Frauenstimmrecht

Weibliche AdAs bei der Fliegerbeobachtung mit Feldstecher um 1940. Foto: VBS/DDPS

Im Tarnanzug zum Frauenstimmrecht?

Die Gründung des Freiwilligen Hilfsdienstes (FHD)

Frauen wollen gleiche Rechte – drücken sich aber vor dem Militär. Dieses Argument taucht in aktuellen Gleichstellungsdebatten gerne auf. Wehrpflicht und Bürgerrechte bildeten lange eine untrennbare Einheit. Gedrückt haben sich andere.

Von Nadia Pettannice

Neben der vielbemühten Neutralität besitzt die Schweiz eine Tradition der Wehrhaftigkeit. Diese fand 1848 ihre Verankerung in der Bundesverfassung: «Jeder Schweizer ist wehrpflichtig.» Der Bürger war Soldat. Wie eng Waffenfähigkeit und Stimmrecht verwoben waren, zeigt sich noch heute an den Landsgemeinden in Appenzell Innerrhoden. Das Tragen eines Degens, Schwertes, Bajonetts oder Dolches – das sogenannte «Seitengewehr» – galt als einziger legitimer Stimmrechtsausweis. Erst seit der zwangsweisen Einführung des Frauenstimmrechts 1991 wird zusätzlich die Stimmrechtskarte anerkannt.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass sich Frauenverbände zwischen 1900 bis 1945 energisch für eine Teilhabe an der Landesverteidigung einsetzten. Inspiriert von der finnischen Fraueneinheit «Lotta Svärd», wollten sie um 1938 eine eigene Frauenarmee mit dem Namen «schweizerische Lottas», «Helvas», oder «Stauffacherinnen» gründen und schnurstracks zur politischen Gleichstellung marschieren.

Führend bei diesen Bestrebungen war die gebürtige Winterthurerin Else Züblin-Spiller (1882–1948). Während des Ersten Weltkrieges hatte sie den Schweizer Verband Soldatenwohl gegründet und ein Netzwerk von rund 1000 Soldatenstuben aufgebaut. Sie hatte somit Erfahrung im Umgang mit dem Generalstab. Dieser gab sich zwar freundlich, druckste aber beim Vorschlag einer Integration herum und eine Wehrpflicht kam nicht in Frage. Else Züblin-Spiller nahm das Zepter in der Folge selbst in die Hand und initiierte 1938 den zivilen Frauenhilfsdienst (FHD), der ab 1940 erstmals direkt dem Militärdepartement unterstellt wurde.

Die freiwilligen Frauen betätigten sich in der Soldatenfürsorge, in der Landwirtschaft, der Flüchtlingshilfe und übernahmen die Arbeit der eingezogenen Männer. Die anfänglich skeptischen Behörden erkannten schnell den Nutzen dieser unentgeltlichen Arbeit. Am 5. April 1939 machte der Bundesrat einen Aufruf an die Bevölkerung: «Die Landesverteidigung ist auf die Hilfe der Frauen in hohem Masse angewiesen. […]»

Else Züblin-Spiller frohlockte: «Mit einem gewissen Aufatmen und Freude haben die Frauen von den behördlichen Aufrufen Kenntnis genommen, in denen Bundesrat und Armeeleitung nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen zum freiwilligen Hilfsdienst auffordern und damit zum ersten Mal dieselben offiziell auch als Bürgerinnen zur Erfüllung bestimmter Dienstverpflichtungen dem Lande gegenüber verantwortlich machen. […]» Sie war überzeugt, dass auf die Bürgerinnenpflicht nun das Stimmrecht folgen würde, zumal sich 1940 auch ein militärischer Zweig des FHD durchsetzen konnte.

Die Belohnung blieb aus. Die Frauen wurden in ihr altes Rollenbild zurückgedrängt. Bundesrat Philipp Etter meinte 1959 rückblickend froh, dass «unsere Schweizer Frau, die während des Krieges zu so viel mannhaftem Einsatz verurteilt war, uns Männern Frau, Mutter und Schwester geblieben ist.» Das sahen die Frauenrechtlerinnen freilich anders. Künftig überklebten sie Rekrutierungsplakate des FHD mit «Nicht ohne Frauenstimmrecht»-Stickern. Als 1948 die Bundesverfassung 100 Jahre alt und unter dem Motto «Die Schweiz, ein Volk von Brüdern» gefeiert wurde, fügten die Frauenverbände kurzerhand «ohne Schwestern» hinzu.

Die 1848 verankerte Wehrpflicht hat den ganzen Gleichstellungsprozess überdauert und stellt bis heute eine Ungleichbehandlung beider Geschlechter dar. 2021 steht die Einführung eines allgemeinen Bürgerdienstes für Männer und Frauen zur Diskussion. Die komplexe Beziehung zwischen Bürgerrecht und Bürgerpflicht wird deshalb neu verhandelt werden müssen.

21.03.21, np
Foto: VBS/DDPS
Soundtrack: Roadside Rodeo by SLPSTRM

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