50 Jahre Frauenstimmrecht

200 Frauen aus der ganzen Schweiz nahmen der ersten Frauensession 1991 in Bern teil. Die diskutierten Themen deckten sich dabei häufig mit der zweiten Frauensession 2021.

 

50 Jahre Frauenstimmrecht

und jetzt?

Das 50 Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts ist Geschichte. Was kommt als nächstes? Ein Rückblick und Ausblick.

Von Julia Vetter

2021 wird nicht nur als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem das Frauenstimmrecht sein 50-jähriges Bestehen feiern konnte. Mit der Pandemie, die uns schon das zweite Jahr begleitete, sind staatskritische Stimmen immer lauter erklungen. Die 50-Jahr-Feier der «wahren Demokratie» wurde überschattet, als auf mehr und mehr Plakaten das Wort «Diktatur» zu lesen war. Frauenrechte schienen Ende 2021 nicht zuoberst auf der Prioritätenliste der Politik zu stehen, die Rede war zuletzt vielmehr von Omikron, Boostern und der berühmten «Spaltung der Gesellschaft».

Durch diese Themen geriet der politische Meilenstein des Frauenstimmrechts zunehmend in den Hintergrund. Ja, was soll frau denn noch wollen? Frauen sind nun auf dem Stimmausweis sichtbar, in der Abstimmung werden sie gehört. Die politische Grundlage für die Gleichstellung der Geschlechter scheint Ja seit 50 Jahren mehr oder weniger geschaffen zu sein.

Eine ähnliche Grundstimmung herrschte in der Schweiz 1991. Doch auch damals existierte diese Gleichstellung für viele Frauen nur auf dem Papier. Deshalb wurde im Februar 1991 – anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums des Frauenstimmrechts und der 700-jährigen Eidgenossenschaft – die erste Frauensession in Bern einberufen. 200 Frauen aus der gesamten Schweiz diskutierten im Parlament über Möglichkeiten und Forderungen für die Gleichstellung. Dabei wurden unter anderem folgende Themen besprochen: Die vom Zivilstand unabhängige Altersvorsorge, Betreuungsgutschriften in der AHV, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Mutterschaftsversicherung, bessere Vertretung von Frauen in politischen Gremien, Ganztagesschulen und ausserschulische Kinderbetreuung sowie das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper. Annemarie Stolz wirkte damals als Generalsekretärin intensiv an den Vorbereitungen und der Durchführung mit. Sie erinnert sich in einem Interview von 2011 an die positive Grund- und Aufbruchsstimmung. Doch die Session stiess bei konkreten Forderungen an ihre Grenzen: «Leider reichte die Zeit nicht aus, die aufgeworfenen Fragen vertieft zu behandeln und Kompromisse auszuhandeln. Das ist wohl der Grund dafür, dass der Resolutionsentwurf im Plenum keine Chance hatte.» Aber im Rückblick habe es sich gelohnt, da die Session vielen Frauen Mut gemacht habe, in die Politik einzusteigen. So schliesst sie mit der Aussage ab: «Als grosser Erfolg der Frauenbewegung darf sicher bezeichnet werden, dass Frauen im Jahr 2011 die Mehrheit im Bundesrat stellten.»

30 Jahre später, im Oktober 2021, fand die zweite Frauensession – anlässlich des 50 Jahr-Jubiläums des Frauenstimmrechts – statt. 246 Frauen diskutierten an dieser Session in Bern dringende gleichstellungspolitische Anliegen und überreichten Bundesrat und Parlament ihre Forderungen. Im November berichteten in einer Podiumsdiskussion in Schaffhausen einige Teilnehmerinnen von ihren Erfahrungen. Auffallend dabei: Die in der Session besprochenen Themen deckten sich dabei häufig mit den Themen von 1991. Auch 2021 wurde ein besonderer Schwerpunkt auf die Anerkennung von Care-Arbeit, die Altersvorsorge und die Lohngleichheit gelegt. Hinzu kamen aber auch andere Themen wie Einwohner*innenstimmrecht und die Gleichstellung der Geschlechter in Landwirtschaft und Wissenschaft. Die Wiederholung derselben Schwerpunktthemen habe allen klar vor Augen geführt, dass es diese Session brauche, wie es in der Podiumsdiskussion hiess. «Von links bis rechts waren sich alle einig, dass diese Themen unbedingt weiterhin diskutiert werden müssen», sagte eine Teilnehmerin. Doch die Meinungen an der Session gingen teils sehr auseinander. Besonders heftig wurde die Anerkennung und Entlohnung der freiwilligen Care-Arbeit diskutiert. Laut Bundesamt für Statistik leisteten Frauen im ersten Pandemie-Jahr 2020 fünfzig Prozent mehr Haus- und Familienarbeit als Männer. Zu diesem Thema zeigt die britische Autorin und Journalistin Caroline Criado-Perez in ihrer Publikation Unsichtbare Frauen von 2019 eindrucksvoll auf, dass infolge fehlender Datenerhebungen die unbezahlte Arbeit von Frauen als «kostenlose Ressource» wahrgenommen wird.

Ist die Durchführung einer Frauensession also schlussendlich nur ein symbolpolitischer Entscheid, der gar nichts wirklich bewirken kann? Zu diesem Vorwurf äusserten sich die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion sehr kritisch. Die Vernetzung der 246 Frauen und der Frauenstreik von 2019 hätten gezeigt, dass sich Frauen in der Politik sehr wohl Gehör verschaffen können. «Aber nochmals, Gleichstellungspolitik geht alle etwas an, nicht nur die Frauen», sagte eine Teilnehmerin in ihrem Schlusswort. Was es bewirken kann, wenn sich genügend viele Frauen und Männer für eine Sache engagieren, zeigt das berühmt gewordene Beispiel des demokratisch angenommenen Frauenstimmrechts 1971.

23.01.22, jv
Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Vogt, Jules / Com_LC1511-009-002 / CC BY-SA 4.0

Soundtrack: Thoughts by anbr

FHD bei der Fliegerbeobachtung

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